Vorwort

Warum denn nun noch ein Buch zur tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie (TP), so mag man sich fragen, und ich habe mich das natürlich auch gefragt. In vielen Lehrveranstaltungen und Supervisionen ist mir jedoch aufgefallen, daß es immer noch Bedarf gibt nach einer praxisnahen Begleitung. So beklagt auch Rüger 2000 den Mangel an praxeologisch orientierten Büchern (Rüger 2000).

Womit haben wir es als Therapeuten zu tun? Jeder Patient kommt mit einer unglaublichen Fülle ineinandergewobener Botschaften und Mitteilungen, kommt mit seinem ihm eigenen Universum von Informationen, Gefühlen und Interpretationen. Wir versuchen zu verstehen, uns eine Therapie vorzustellen auf der Grundlage unserer bisherigen Erfahrungen, die wiederum geprägt sind von den Therapieschulen, auf die wir uns beziehen mit ihren je eigenen Ordnungs- und Interpretationsmustern. Es ist für niemanden einfach, sich in dem großen und vielfältigen Angebot an Literatur zurecht zu finden und das Gelesene dann auch noch praktisch umzusetzen. Die Integration verschiedener An-sätze und An-sichten stellt eine beträchtliche Herausforderung dar. Was soll man lesen und wie das Gelesene in die eigene Theorie und das eigene Vorgehen einbauen, zumal das für die Praxis der TP nicht immer leicht herauszufiltern ist. Nicht zuletzt auch, weil die Literatur immer noch stark von der Psychoanalyse bestimmt wird und erst allmählich auch die "kleine Schwester" TP, gewürdigt wird (Kumbier 2008).

 

Das vorgestellte Modell soll erleichtern, die mit jeder Therapie verbundenen komplexen Informationen sinnvoll zu ordnen und auf den jeweiligen Fall bezogen zu integrieren. Es soll bei der Begleitung des Patienten helfen von der Anfangsdiagnostik über die Phasen des Prozesses bis zur Verabschiedung. Das Modell ist auf Ganzheitlichkeit ausgelegt. Die lösungs- und prozeßorientierte Ressourcen-Perspektive wird hervorgehoben und soll die Bearbeitung störender Abwehranteile ergänzen und erleichtern.



Im Bemühen, Theorie praxisnah zu vermitteln, habe ich nur einen Grundrahmen entworfen. Dieser ermöglicht, bei jedem Kenntnis- und Erfahrungsstand damit zu arbeiten. Das Rahmenmodell soll helfen, Übersicht und Eigen-Raum zu halten gegen den Sog der Abwehr, den wir bei tiefenpsychologischem Vorgehen nur allzu gut kennen. Indem es einen Rahmen von 8 Arbeitsfeldern zur Verfügung stellt, der inhaltlich nur bedingt festlegt, soll eine fruchtbare Balance zwischen Ordnung und Freiheit ermöglicht werden mit der Leitvorstellung: so wenig Theorie wie möglich und so viel wie nötig.

 



Der Modellrahmen stellt ein Gerüst zur Verfügung, in dem sich bisherige Erfahrungen abbilden und weiter ausbauen lassen. So lassen sich Theoreme und Konstrukte verschiedener Richtungen einordnen, die ja nicht selten mit beträchtlichem Verve und Selbstbewußtsein vorgetragen werden und einen nicht unbeträchtlichen Sog entwickeln und zu Verwirrung und Schieflastigkeit beitragen.

 

Richtet man sich zu sehr nach bestimmten Ansätzen führt das nicht selten zum Vernachlässigen wichtiger Bereiche, zu Verhaftungen der Aufmerksamkeit bei gewohnten und manchmal mühsam antrainierten Denk- und Fühlpfaden. Mainstream-Theoreme sind oft zu eng, wie ich an einigen Themen darstellen werde. Oft wurden mit aufregend neuen Entdeckungen und nützlichen Funktionen der Psyche (Verdrängung, ubw. Identifikation etc.) Inhalte "mitverkauft" (zB. Todestrieb) bzw. übergewichtet (zB. Ödipuskomplex).

 

Dieses Buch soll vor allem die Möglichkeiten des praktischen Arbeitens verbessern: Um was geht es (gerade), was braucht der Patient, um zu einem vollständigeren Erleben zu kommen, um innere Hindernisse zu erkennen und zu überwinden, seine Ressourcen optimal zu nutzen und zu einer besseren Lösung in sich und mit anderen zu kommen. Was braucht er gerade für seinen Prozeß?

 

Nachdem Sie sich mit den Grundkategorien vertraut gemacht haben, können Sie dieses Modell verwenden, indem Sie Ihre eigenen Begriffe und Vorstellungen den 8 Feldern zuordnen. Wie sich in vielen Seminaren gezeigt hat, ist diese Ordnungshilfe bereits nach einer kurzen Einführung intuitiv nutzbar, zB. um die unbewußte Dynamik eines Patienten genauer zu erfassen, und die Fülle an Informationen zu sortieren. Dadurch wird das Schreiben des Kassenantrags wesentlich erleichtert und verkürzt.

 

Mir kommt es so vor, daß (angehende) Therapeuten gar nicht so selten in Unsystematik fliehen und zB. lieber wenig lesen, als sich durch allzuviel Meinungen verwirren oder gar dominieren zu lassen. Zu Recht, wie ich finde. So bleiben sie näher an der Ganzheitlichkeit ihrer Erfahrung und schützen ihre intuitive Seite. Psychotherapie ist auch für den Therapeuten etwas ganz Eigenes, Individuelles. Sie muß zu ihm passen, zu seiner Geschichte, seiner Art mit Gefühlen umzugehen, seiner Art des Nachdenkens und seiner ganz persönlichen Art, mit Patienten umzugehen.

 

Patient und Therapeut begeben sich in einen gemeinsamen kreativen Prozeß. Verborgene konflikthaftes sollen gefunden und dem Erleben zugänglich werden. Bereits das Vortasten in mehr Erleben in einer wohlmeinenden Beziehung ist ein wichtiger Teil der Lösung. Dieser förderliche Austausch wird immer wieder von der Abwehr des Patienten gestört, die auch den Therapeuten verwickelt, sodaß der Prozeß in unfruchtbare Bahnen gerät und stagniert.

 

 

Vor und nach dem Psychotherapeutengesetz

 

Die meisten der ab 1999 nach dem Psychotherapeutengesetz neu approbierten und zugelassenen Psychologen kommen ursprünglich von anderen derzeit noch nicht zugelassen Verfahren. Sie haben ihren Weg als Psychotherapeut mit der Gesprächspsychotherapie, Gestalt- und Körpertherapie, mit systemischer Therapie oder dem Psychodrama begonnen und im Rahmen der Kostenerstattung mit Patienten bereits tiefenpsychologisch gearbeitet. Bis 1999 führte ja der Weg für Psychologen, tiefenpsychologisch fundiert im Rahmen einer Kassenzulassung zu arbeiten nur über eine volle langwierige analytische Weiterbildung. Die in der Kostenerstattung arbeitenden Kollegen waren sehr an tiefenpsychologischem Hintergrundwissen interessiert, was sich zB. an dem großen Zulauf zu den jährlichen Seminaren in Lindau, Langeoog und Lübeck zeigte, lange bevor das Psychotherapeutengesetz in Kraft trat. Ihre Heimatmethode mit tiefenpsychologischem Gedankengut sinnvoll in Beziehung setzen war erschwert, weil keine der Methoden unter die Hegemonie der Psychoanalyse geraten wollten. Sie ist auch heute noch erschwert, weil eine eigenständige Lehre der  Tiefenpsychologie erst noch im Entstehen ist (Rieber-Hunscha 2005). Zudem war der Empfang in der Nachqualifikation durch die analytischen Institute nicht gerade überschwenglich oder auch nur respektvoll. Die unter großen Anstrengungen ins Leben gerufene Deutsche Fachgesellschaft Für Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (DFT) wurde bis zuletzt bekämpft. Durch die Nachqualifikation war eine zusätzliche Notwendigkeit gegeben, die Kollegen in einem Rahmenmodell abzuholen, in dem Sie sich wiederfinden und ergänzendes tiefenpsychologisches Denken sinnvoll und kränkungsfrei einbauen konnten.

 

 

Zur Integration psychotherapeutischen Wissens

 

Mehr Integrationsbereitschaft und Freiheit des Blickes, dürfte eine -wenn auch sicher nicht überall begrüßte- Folge des Psychotherapeutengesetzes werden. So schwierig diese Situation auch für den Einzelnen immer wieder mal sein mag, tun sich durch die Einbeziehung nicht analytisch ausgebildeter Kollegen auch große Möglichkeiten auf in Richtung einer Erneuerung der Psychotherapie überhaupt. So wie die neuen Kollegen von der tiefenpsychologischen Sichtweise profitieren, so profitiert auch die Tiefenpsychologie von anderen Richtungen, wie sich zunehmend beobachten läßt (Fürstenau 2007, Rieforth 2006). Rollenspiele, Körperarbeit und suggestive und pädagogische Elemente werden heute unverkrampfter in die TP einbezogen. Und dies bedeutet nicht, daß es sich dann nicht mehr um tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie handelt, wie gelegentlich immer noch geargwöhnt wird.

 

Diese integrierende Einstellung gibt es im übrigen in der Kinder- und Jugendlichentherapie schon seit langem: Spielen, Phantasieren, Malen, systemisch intervenieren und pädagogische Elemente gehören seit eh und je zum Repertoire der analytisch arbeitenden Kinder- und Jugendlichentherapeuten. In der Weiterbildung zum Facharzt für Psychotherapie ist vorgesehen, auch ein Grundwissen in anderen Verfahren zu erlangen.

 

Dies gilt auch für die Ausbildung an den tiefenpsychologisch ausgerichteten Ausbildungsstätten, die es seit 1999 gibt. Seit eh und je findet an den psychotherapeutischen Fachkliniken eine Integration verschiedener Methoden im Rahmen interdisziplinär getragener Behandlungspläne statt. Eine solche integrative Haltung konnte ich schon während meiner Tätigkeit an einer sehr modern ausgerichteten Universitäts-Psychiatrie in Berlin schon in den 70er Jahren beobachten [1].

 

Auch an Beratungsstellen arbeiten Kollegen mit verschiedner Grundausbildung fruchtbar zusammen. Im Psychologiestudium ist es seit Jahrzehnten zudem guter Brauch, viele Ansätze und Modelle kennen zu lernen.

 

 

An wen wendet sich das Buch?

 

Praktizierende Kollegen

 

Niedergelassene Kollegen müssen sich an den Richtlinien für Psychotherapie orientieren und sich mit jedem einzelnen Patienten dem Gutachterverfahren stellen. Die Richtlinien sind stark geprägt von der Tradition analytischen Denkens. Die Gutachter sind Psychoanalytiker mit nur mehr oder weniger ausgeprägten Erfahrungen in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie. Auch wenn man sich nicht mit allem anfreunden mag, ist das Gutachterverfahren insgesamt Garant einer gesicherten Berufsausübung. Die Anträge auf Bewilligung der Therapie sind nicht zu umgehen und erfordern eine Auseinandersetzung mit den aus der Psychoanalyse stammenden Vorstellungen über Struktur der Neurose und Gesetzmäßigkeiten des therapeutischen Prozesses. Die Anträge sind oft mühsam und zeitraubend und nagen an so manchem Wochenende. Das Buch enthält daher eine Reihe von Hilfen für die Sammlung und Sichtung der Informationsflut und für das Schreiben der Anträge.

 

Das Buch wendet sich an Psychologen, die seit 1999 ermächtigt oder zugelassen worden sind. Manche Ärzte, die sich nach ihrer Klinikzeit niedergelassen haben, dürften ein Bedürfnis nach praxisnaher Darstellung der TP haben, besonders wenn sie während ihrer Klinikzeit nicht allzu viele längere Einzeltherapien kennen lernen konnten. Länger praktizierende ärztliche Kollegen mit Zusatztitel für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie könnten während einer nicht immer systematisch organisierten Weiterbildung eine auf die Einzeltherapie ausgerichtete Vermittlung von Theorie und Praxis vermißt haben.

 

 

Kollegen in Ausbildung

 

Zum anderen ist das Buch geschrieben für die Kolleginnen und Kollegen, die sich in einer tiefenpsychologisch ausgerichteten Ausbildung befinden, um die Approbation als psychologischer Psychotherapeut zu erlangen. Mit ihren Bedürfnissen und Schwierigkeiten bin ich über meine jetzt 10jährige Tätigkeit als Ausbilder am Institut in Oldenburg in Seminaren, Supervisionen und Selbsterfahrung in regelmäßigem Kon-takt. Besonders zu Beginn stürmt eine Fülle von Worten, Theoremen und Fallbeispielen auf die Kandidaten ein. In ihrer Selbsterfahrung begegnen sie Therapeuten, bei denen sich Theorie und therapeutische Erfahrung in ganz persönlicher Weise zusammengesetzt hat. Zum unguten Teil der Verwirrung gehören unklare Überschneidungen und die weit verbreitete Neigung von Therapieschulen, die eigene Schulmeinung nicht nur in den Mittelpunkt zu stellen sondern zu verabsolutieren. Selbst Ausbilder dürften nicht in der Lage sein, auch nur zu lesen, selbst was in ihrem Hauptinteressensfeld angeboten wird. Also werden auch sie mehr oder weniger lesen zu Spezialthemen, die sie interessieren. Doch wie das alles zusammenbringen?

 

Erst recht gilt dies für die Ausbildungskandidaten. Für Sie ist es noch viel verwirrender. Am Ausbildungsinstitut in Oldenburg [2] wird daher das in diesem Buch vorgestellte Rahmenmodell an den Anfang der Seminare gestellt, um die Fülle der Ansichten besser ordnen zu können, die Verwirrung eingrenzen und von Beginn an eine bessere Integration des Gelernten zu ermöglichen.

 

Die Integration der verschiedenen Sichtweisen überließ man in der analytischen Ausbildung allzusehr dem allmählichen Prozeß der Therapeut-Werdung, der sich durch Selbsterfahrung, Literatur, Theorie- und Technikseminare und Supervision bei verschiedenen Dozenten und Supervisoren, sowie mit zunehmender Behandlungserfahrung entwickelt. In der Regel dürfte man erst nach der Ausbildung wieder zu sich selbst und der eigenen Ganzheit im Umgang mit den Patienten ohne den Lärm der vielen Meinungen noch dazu in der abhängigen Position des Lernenden. Erst dann bildet sich allmählich jene zweite eigene Ganzheit heraus, von der man annimmt, daß sie besser ist als die sog. naive, mit der man angetreten war [3]. Es war mir ein Anliegen, von innen zu schreiben, also vom Erleben mit dem Patienten auszugehen. Die Intuition ist viel zu kostbar und viel zu leistungsfähig, als das man sie durch allzu abstrakte Vermittlung "von oben" verunsichern sollte. Der gekonnte Umgang mit ihr sollte nicht erst dann einsetzen, wenn sich die "Regeln" und Theoreme der Ausbildung 10 Jahre nach Abschluß von Weiterbildungen (Buchholz 2007) als oft praxisuntaugliche Vergröberungen erwiesen haben. Und das ist durchaus möglich, wenn man sich an konkrete Situationen hält, Interventionen in sich (intuitiv) entstehen läßt und dann überprüft.



 

Sonstige mögliche Interessenten

 

Auch für die Kolleginnen und Kollegen, die in meinen Seminare oder Supervisionsgruppen schon einiges über meine Art der Diagnostik und Therapie erfahren haben, sei es im Rahmen der Nachqualifikation oder seit nun schon über 20 Jahren im Rahmen der Weiterbildung in katathymem Bilderleben wollte ich mit dem Buch das sonst ja immer nur bruchstückhaft Vermittelte einmal im ganzen darstellen zum ruhigen Nachlesen und Vergegenwärtigen.

 

Schließlich wendet sich das Buch an Therapeuten, die gar nicht vorhaben, TP als Kassenleistung abzurechnen, sich jedoch für eine integrativ ausgelegte tiefenpsychologische Sichtweise interessieren.

 

Zur Art des Schreibens

 

Ich habe das in vielen Seminaren seit über 15 Jahren von mir erprobte und jetzt ausgereifte Modell der Psyche und des therapeutischen Prozesses als Basis genommen und auf die Praxis bezogen. Aus den Rückmeldungen in vielen Seminaren auch im Rahmen der Nachqualifikation schließe ich, daß eine optischen unterstütze Theorievermittlung zumindest für einige Kollegen hilfreich ist. Sie werden daher in diesem Buch mehr Abbildungen finden als in anderen Büchern zur tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie.

 

Ich habe versucht, die subtilen Austauschprozesse und Stimmungen ein wenig deutlicher werden zu lassen. Dadurch kommt eine für ein Lehrbuch eher ungewohnte Gefühlshaftigkeit in manche Passagen. Ich habe einen Musterpatienten (KH) ausgewählt, auf den ich immer wieder zurückkomme. Ich würde mich freuen, wenn er Ihnen ebenso ans Herz wächst wie mir.

 

Interventionen sind die "Endhandlungen" des Therapeuten. Sie erfolgen in komplexen Situationen auf der Grundlage von Grundhaltungen, Einfühlung, Intuition und Abwägen. Die Vielzahl von Interventionsbeispielen soll möglichst plastisch und konkret vermitteln, wie das Erörterte gemeint ist und wie man es umsetzten könnte. Sie sind mit einem auffallenden Zeichen markiert (µ), damit Sie die Interventionen im Text schnell finden können.

 

Das Buch ist unerwartet zu einem "Wälzer" von über 800 Seiten angewachsen. Wegen des Umfangs habe ich den Inhalt auf zwei Bände verteilt. So bleibt das ganze tragbarer, auch im wörtlichen Sinn, indem man ggf. einen der Bände mitnehmen kann. Auf einer zum Buch gehörigen CD finden Sie einige der mir wichtiger erscheinenden Abbildungen und Schemata auch in Farbe. Häufig wurde ich nach Arbeits- und Übungsmaterial gefragt. Diese finden Sie ebenfalls auf der CD. Sie sind in Word geschrieben, sodaß Sie die Vorlagen für sich selbst Ihren Bedürfnissen und auch Ihrer Schriftgröße anpassen können. Eine besondere Schwierigkeit ist das Schreiben der Kassenanträge. Diese Schwierigkeiten beginnen mit dem unsystematischen Erheben der Anamnese bzw. der Dokumentation. Der nächste Schritt ist die Zerlegung der Informationen, um den Patienten zu verstehen. Und zwar auch so, daß Anträge klarer formuliert werden können. Neben den entsprechenden Kapiteln können dabei auch einige Arbeitshilfen hilfreich sein. Schon die größere Klarheit der erforderlichen Schritte und die angebotenen Hilfsmittel erleichtern sowohl das Verstehen eines Patienten. Dem Vernehmen hat dieses leicht systematisierte Vorgehen einen erheblichen Einfluß auf den Zeitaufwand für die Anträge.

 

 

Zum Aufbau des Buches

 

Die Kapitel sind so geschrieben, daß man sie nach Verstehen des Grundmodells auch für sich lesen kann, auch im Sinne eines vertiefenden Nachschlagens, etwa wenn man sich für spezielle Aspekte der Intervention zB. in Bezug auf das Ich, das Selbst oder die (inneren) Objektbeziehungen interessiert. Um jedes Kapitel für sich lesbar zu halten und nicht durch allzuviel Verweisungspfeile zu irritieren, werden einige Gedanken aus anderen Kapiteln zT. kurz resümiert.

 

A. Der erste Abschnitt beginnt natürlich mit dem Modell der 8 Aufmerksamkeitsfelder und der 5 Bereiche der Persönlichkeit. Dabei habe ich besonders ausführlich dargestellt, wie durch eine Versuchung der unbewußte Grund eines Patienten in Aufruhr gerät und schließlich zu Symptomen führt. Das energieverzehrende und unbewußte Ringen von Abwehr und Latenz ist nicht nur Kernstück des Antrages sondern des tiefenpsychologischen Verstehens überhaupt. Stets und ständig geht es um die Förderung der in die Latenz gedrängten lebendigen Seite und das Verstehen der Abwehr. Eine profunde Ressourcenhaltung halte ich für unverzichtbar, denn eben diese verschütteten Quellen der Lebendigkeit gilt es zu fördern.

 

B. Im zweiten Abschnitt wird die Arbeit mit dem Modell anhand eines Musterfalles demonstriert. Die probatorischen Sitzungen bis zum Antrag werden beschrieben. Dabei werden die diagnostischen Überlegungen des Therapeuten und die Kooperation mit dem Patienten schrittweise im Sinne des Modells entwickelt bis zur Vereinbarung des Arbeitsbündnisses und der Erstellung des Kassenantrages für diesen Patienten.

 

C. In diesem großen Abschnitt wird Psychotherapie als kreativer Prozeß dargestellt. Welche Faktoren sind wichtig bei der Veränderung des Patienten und welche Grundverläufe lassen sich erkennen? Für die gesamte Dauer der Therapie sind bestimmte Haltungen des Therapeuten erforderlich, sei es bei der Diagnostik oder bei den Interventionen. Das in den Erstgesprächen schon vorvereinbarte Arbeitsbündnis muß immer mal wieder erneuert und vertieft werden. Das seit Beginn der Psychoanalyse bewährte Instrument der Abwehranalyse wird erweitert durch das mE. bislang zu wenig systematisch berücksichtigte Lösungsstreben. Damit hängt auch die Stellung der Intuition und von deren gekonnter Nutzung als Teil eines kreativen Wechselspiels innerhalb von Patienten und Therapeut und in ihrem Zusammenwirken. Aus diesem erweiterten Ansatz leiten sich Empfehlungen für die Interventionen ab, die auch dialektisches Vorgehen und die Verwendung von Humor einschließen. Besonderheiten beim Vorgehen in den verschiedenen Phasen bilden den Abschluß von Band 1.

 

D. Im zweiten Band wird aufgezeigt, wie die bislang erörterten Prinzipien der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie in den 8 Hauptfeldern des Modells zur Anwendung kommen. Dieser Teil soll Anregungen vermitteln, wenn im Bedarfsfall eines dieser Felder stärker in den Fokus kommen soll. Da die Veränderung innerer seelischer Abläufe Ziel der Therapie sind, ist die Arbeit mit Teilaspekten der psychischen Struktur mit den Aspekten Ich, Selbst, innere Objekte, Antriebe und Geneserepräsentanzen stets im Zentrum. Auch diese Anteile der Persönlichkeit sind in je einem Kapitel dargestellt mit Grundsatzüberlegungen und konkreten Vorgehensweisen.

 

E. Schließlich beschäftige ich mich mit einigen wichtigen Aspekten der Theorie und Praxis der TP, die mE. bislang zu kurz gekommen sind. Es ist das Anliegen der Psychotherapie, Patienten von alten (unbewußten) Konstrukten zu befreien. Dazu sollten auch die Therapeuten relativ frei sein von übermäßigen Festgelegtheiten. Dies gilt auch für Konzepte über unbewußte Vorgänge. Immer noch und immer wieder machen uns auch weiterhin ungute Einseitigkeiten zu schaffen, von denen sich allerdings die Schulstreitigkeiten oft bestens ernährt haben, sehr zu Schaden eines aufgeschlossenen Horizontes und einer (noch) produktiveren Weiterentwicklung der Psychotherapie. Zu einem der Hindernisse auf dem Weg zu einem aufgeschlossenen Miteinander ist das Oder-Denken. Dies sollte endlich aufhören und einem Und-Denken Raum geben. Beim Und-Denken werden alle Verfahren in ihrer Eigenart gewürdigt. Alle haben etwas beizutragen zum Wissen.

 

Mit dieser Grundeinstellung lassen sich Schwerpunkte von Therapie-Richtungen beschreiben und vergleichen (nicht zurückführen!). Dabei wird angedacht, wie eine solche Ergänzungsbewegung weiter gefördert werden kann. Mit Hilfe des Modells können Bereiche erhöhter und erniedrigter Aufmerksamkeit sichtbar gemacht werden was auch zur Überwindung von Schulstreitigkeiten beitragen kann. Beispiel für die mE. derzeit beste Form, das Wissen aus verschiedenen Bereichen zu integrieren, ist die KB-Therapie. Ein weiterer Grund, ein Kapitel über das KB aufzunehmen, ist mein Wunsch, die zentrale Wertigkeit der Phantasie zu betonen und das von mir vorgestellte Modell mit dem KB zu verbinden.

 

Bremen Spätsommer 2009



 

[1]Jedenfalls haben dort eine Reihe heute namhafter Analytiker wie Rudolf, Petri, Hoffmann, Rüger und Tuschy in Austausch mit Sozialpsychiatern gearbeitet wie zB. Krukenberg und Pietzker. Unter der tolerant aufgeschlossenen Leitung von Prof. Helmchen gab es Seminare und Vorträge nicht nur über Tiefenpsychologie sondern auch über systemische und sozialpsychiatrische Ansätze, in denen auch deren allgemeine und klinische Anwendbarkeit diskutiert wurden. An den sog. schlauen Samstagen hielten die Mitarbeiter Vorträge. Dort wurde erstmals auch das Konzept einer Psychotherapie mit Älteren von Radebold vorgestellt.

[2]Ausbildungsinstitut und Ambulanz sind der Universität angegliedert. Etwa alle zwei Jahre beginnt ein neuer Jahrgang von 16 Kandidaten, die alle Seminare zu Theorie und Praxis zusammen absolvieren. Die Jahrgänge bestehen etwa zur Hälfte aus Kandidaten für die Erwachsenentherapie und zur Kinder- und Jugendtherapie. Besonders die technisch-kasuistischen Seminare werden daher von zwei entsprechend qualifizierten Dozenten geleitet.

[3]Vermutlich kennen Sie die Beschreibung des Weges von der unberechtigten Sicherheit über die berechtigte Unsicherheit, die unberechtigte Unsicherheit bis zur berechtigten Sicherheit.